Beschreibung
Hans Leu der Ältere, Vater von Hans Leu dem Jüngeren (1490–1531), wurde um 1460 in Baden geboren und ist vermutlich identisch mit dem sogenannten jüngeren Zürcher Nelkenmeister. Hans Leu führte in Zürich eine eigene Malerwerkstatt. Die Bezeichnung «Nelkenmeister» entstand aufgrund der Darstellung je einer weissen und einer roten Nelke, die als Signatur der Werkstatt interpretiert wurde. Nelkenmeister sind auch in Bern und in Solothurn nachgewiesen. Hans Leu erhielt unter anderem Aufträge für die Ausgestaltung des Grossmünsters. Für die Zwölfbotenkapelle (Boten = Apostel) malte er die Lebensgeschichte der Zürcher Stadtheiligen Felix, Regula und Exuperantius, die Gemälde gelten heute als wichtiges Zeugnis für das Aussehen der Stadt im 15. Jahrhundert. Leu starb 1507 in Zürich.
Die Darstellung ist Teil eines Michaelsaltars, dessen vier Flügeltafeln heute im Kunsthaus Zürich aufbewahrt werden, der dazugehörige Schrein ging verloren. Die Festtagsseiten (innen) zeigen rechts «Die Ausgiessung des Heiligen Geistes» und links «Die Magierhuldigung». Der geschlossene Altar hielt die Gläubigen mit seiner Darstellung des Höllensturzes und des Jüngsten Gerichtes in Atem. Erzengel Michael, der Führer des himmlischen Heeres, wird als jugendlicher Schwertkämpfer gezeigt. Hans Leu bevölkert seine flammende Hölle mit Dämonen, deren Vorbilder in den geflügelten Chimären von Martin Schongauers Kupferstich des heiligen Michaels oder in der «Versuchung des heiligen Antonius» von Matthias Grünewald zu suchen sind. Mit den ausgebreiteten Flügeln und dem über dem Kopf schwingenden Schwert markiert Michael die Grenze zwischen goldgrundiertem Himmelsbereich und glutroter Hölle. Zuversicht spricht aus dem Gesicht dieses jungen Mannes, der den Gläubigen Trost und Hoffnung spendet. Die Gemälde des Flügelaltars sind rare Zeugnisse der durch den Bildersturm von 1524 stark dezimierten Zürcher Malkunst aus der Zeit um 1500.
2019/Susanne Schneemann
Provenienz
Sog. jüngerer Zürcher Nelkenmeister (Hans Leu d. Ä.?), Zürich (um 1490); unbekannte Sammlung, schlesisch-polnisches Schloß (?–?); Wilhelm Glosse, Altona-Hamburg (?–1926); Schweizerische Eidgenossenschaft.
Quelle: Archiv der Kunstsammlungen des Bundes, Bern