Beschreibung
Der junge Füssli, Sohn eines Historienmalers und Kunsthistorikers, muss seine Heimatstadt Zürich verlassen, da er sich an der Anklageschrift gegen einen Landvogt beteiligt hatte. Er reist 1763 nach London und beschliesst nach einer Begegnung mit dem Porträtmaler Joshua Reynolds, sein Theologiestudium aufzugeben und sich der Malerei zuzuwenden. Von 1770 bis 1778 hält sich Füssli zur Vervollkommnung seiner Ausbildung in Rom auf, wo er auch die Werke der Antike studiert. 1778 kehrt er nach Zürich zurück und malt «Die drei Eidgenossen beim Schwur auf dem Rütli» für das Zürcher Rathaus (Kunsthaus Zürich). 1779 nimmt er endgültig Abschied von der Schweiz und lässt sich in England nieder. Er nennt sich Henry Fuseli. 1804, nach mehreren Jahren als Lehrer an der Royal Academy wird er zu ihrem Keeper (=Dekan) ernannt. Sein scharfer Verstand, seine geistreiche Kritik und seine Leidenschaft tragen ihm bald den Beinamen «The wild Swiss» ein. Er stirbt 1825 im Stadtteil Putney von London. Füssli gilt als einer der einflussreichsten Historienmaler seiner Zeit. Er entwickelt einen eigenständigen, manieristischen Stil, der dem Klassizismus verpflichtet bleibt und den er durch Momente des Schreckens und des Phantastischen erweitert. Seine Bildthemen stammen vorwiegend aus literarischen Quellen wie z. B. den Dramen William Shakespeares oder John Miltons ‹Paradise Lost›.
In seiner Darstellung nach dem Text der Nibelungen, die sein Freund Johann Jakob Bodmer ediert hatte, zeigt Füssli Kriemhild in der Rolle der Rächerin ihres geliebten Siegfrieds. Mächtig und unerschütterlich erscheint Kriemhild am linken Bildrand und präsentiert den abgeschnittenen Kopf ihres Bruders Gunther. Hagen blickt erschreckt ins totenbleiche Gesicht seines Königs. Füssli setzt nicht allein dramatische Schattenwürfe ein, um die schaurige Szene zu unterstreichen. Das Bildzentrum füllt Gunthers Kopf, während das herunterhängende Tuch den körperlosen Bruder geisterhaft erscheinen lässt. Füssli erzählt aber nicht allein die Geschichte der zornigen, sich an ihrem Bruder rächenden Kriemhild. Der Maler gibt bereits einen Hinweis auf das Ende der Sage. Königin Kriemhild wird mit Siegfrieds Schwert, zu dem die linke Hand der Königin im Bild bereits greift, auch Hagen ermorden. Das Werk wurde 1940 bei einem Schweizer Privatsammler erworben und ist im Catalogue raisonné des Künstlers als Nr. 1395 aufgelistet.
2017/Susanne Schneemann
Provenienz
Johann Heinrich Füssli, London (1805–1825); [ Nachlass Johann Heinrich Füssli, London (1825–?); Sir Thomas Lawrence, London (?–1830); Nachlass Sir Thomas Lawrence, London (1830–?); Susan North, geborene Coutts, Countess of Guilford, London/Petersham Castle (?–1837); ] Susan North, Baroness of Guilford, verheiratet mit John Sidney Doyle, London (1837–1884); Sotheby's London (Auktion vom Juli 1885); Arnold Otto Meyer, Hamburg, DE (?–1913); Auktionshaus Boerner, Leipzig, Lot 219 (19./20. März 1914); Paul Hürlimann, Zürich und Hamburg, DE (?–1926–1940); Schweizerische Eidgenossenschaft.
Quelle: Archiv der Kunstsammlungen des Bundes, Bern
Sammlung
Gottfried Keller-Stiftung